In Gedanken höre ich euch schon sagen: "Kontraste?? Häää? Ich will doch nur stricken!"
Ja, das wollte ich vor einiger Zeit auch, und zwar wollte ich mir diesen hübschen Pullover anfertigen:
Das ist der "William" von Ann Kingstone. Das Strickmuster (in englischer Sprache) findet ihr übrigens hier:
https://www.ravelry.com/patterns/library/william-5
Süß, oder? Die dunkelrote Grundfarbe in Tweed-Garn fand ich einfach entzückend. Die Häschen-Bordüre wird bei diesem Pullover in Fair-Isle-Technik (Norwegertechnik) eingestrickt. Den Kontrast wollte ich bei meinem Pulli nicht so ausgeprägt haben und dachte daran, die Häschen in einer dunkleren Farbe einzustricken.
Also los und Garn eingekauft...
Schon mal gar nicht schlecht, oder? Ich habe bewusst kein Schwarz genommen, da mir der Kontrast zum Rot zu hart erschien.
Und so sieht der Pulli nun bei mir aus:
(Ihr ahnt sicher schon, was jetzt kommt...)
So, hat sich der Aufwand für die Häschen nun gelohnt? Wohl eher nicht. Sie sind nur auf den zweiten Blick zu erkennen. Ich mag den Pulli zwar trotzdem, könnte mich aber vor Wut sonstwohin beißen, daß mir als "Farbenexpertin" so ein "Kontrastunfall" passieren konnte.
Was ist nun hier schiefgelaufen? Ich habe die Farben einfach nach Gefallen ausgesucht, ohne mir Gedanken darüber zu machen, wie sie sich im mehrfarbigen Gestrick zueinander verhalten, und ob ein ausreichender Kontrast der Garne zueinander vorhanden ist.
Den Pulli aufzutrennen und neu zu stricken, kommt für mich nun nicht in Frage, aber ich möchte euch gerne helfen, damit euch sowas nicht passiert. Es reicht ja, wenn sich einer (in dem Falle ich) ärgert!
Einen ausreichenden Kontrast der Garne benötige ich, wenn wie im oben gezeigten Beispiel eine Bordüre eingestrickt werden soll oder sich einzelne Abschnitte des Gestrickes deutlich voneinander abgrenzen sollen, wie z.B. bei einem Streifenmuster. Auch zweifarbiges Patent, Mosaik- und Hebemaschenmuster wirken nur, wenn der Kontrast zwischen den Garnen ausreichend stark ist.
Bei meinen eigenen Strickanleitungen benötige ich einen deutlichen Kontrast der verwendeten Garne beim Zakynthos-Tuch, Oregon-Coast-Tuch, Frühlingsblumen-Tuch in 4-farbiger Ausführung sowie den Bambara-Stulpen und der Bambara-Mütze.
Im Laufe dieses Jahres werden noch zwei weitere Tücher erscheinen, bei denen der Kontrast ebenfalls eine große Rolle spielt.
So, und jetzt zur Farbenlehre, und wie wir sie konkret anwenden können!
In der Farbenlehre von Johannes Itten gibt es sieben verschiedene Arten von Kontrasten, zum Beispiel Qualitätskontrast, Hell-Dunkel-Kontrast, Kalt-Warm-Kontrast, Komplementärkontrast,... Wer sich dafür interessiert, findet hier mehr darüber: https://de.wikipedia.org/wiki/Sieben_Farbkontraste
Für uns als Strickerinnen sind in erster Linie der Hell-Dunkel-Kontrast, der Qualitätskontrast und der Komplementärkontrast interessant.
Der Hell-Dunkel-Kontrast:
Erklärt sich eigentlich von selbst: eine helle Farbe kontrastiert mit einer dunklen Farbe. Der stärkste Hell-Dunkel-Kontrast besteht zwischen Schwarz und Weiß, aber es können auch Farben aus der gleichen Farbrichtung oder zwei Farben aus unterschiedlichen Farbfamilien im Hell-Dunkel-Kontrast zueinander stehen. Dieser Kontrast ist der wichtigste für uns beim Stricken. Ich habe ihn beim "Zakynthos-Tuch" (1. Bild von links) mit zwei Farben aus der gleichen Farbfamilie - Türkis und Dunkelblau - angewendet, sowie beim Oregon Coast-Tuch (2. Bild von links) in Verbindung mit einem Qualitätskontrast (mehr dazu unten).
Der Komplementärkontrast:
Immer ein sehr ausdrucksstarker und interessanter Kontrast. Er besteht zwischen zwei Farben, die sich im Farbkreis gegenüberstehen, also gelb - violett, rot - grün, blau - orange. Oft kommt noch der Hell-Dunkel-Kontrast dazu, wie bei gelb - violett in ihrer reinen Form.
Ein Komplementärkontrast ist bei vielen Designs das "Salz in der Suppe" und sorgt dafür, daß die Farben nicht zu einem "Einheitsbrei" verschmelzen. Ich habe diese Form des Kontrastes bei meinem Frühlingsblumen-Tuch ( Bild Mitte) für die Querstreifen verwendet.
Der Qualitätskontrast:
Er besteht zwischen einer reinen, starken Farbe und einer unbunten Farbe. Dies kann ein reiner Grauton zwischen Weiß und Schwarz sein, aber auch eine andere Farbe, die mit Weiß, Schwarz oder Grau so stark vermischt wurde, daß sie ihre Leuchtkraft zu großen Teilen eingebüßt hat. Schön zu sehen ist dies beim "Oregon-Coast-Tuch". Auch bei den Hauptfarben im "Frühlingsblumen-Tuch" habe ich 3 Violett-Töne in unterschiedlichen Qualitäten, also verschiedenen Farbsättigungsstufen verwendet. Zu sehen ist der Qualitätskontrast auch bei der "Bambara-Mütze" bei den oberen 2 Grüntönen.
Das ist jetzt die trockene Theorie - aber zum Glück gibt es in der Praxis einen ganz einfachen Weg, um herauszufinden, ob ein Kontrast zwischen zwei Farbtönen für uns ausreichend ist:
Macht einfach ein Foto von euren 2 (oder mehreren) Wunschkandidaten und laßt es euch in Schwarzweiß anzeigen... Et voilà - le contraste:
Diese beiden Farbtöne (Kupferglanz und Zink) scheinen auf den ersten Blick gut zu kontrastieren, weisen aber annähernd die gleiche Helligkeitsstufe auf. Für große Farbflächen oder Blockstreifen wäre diese Kombi im Qualitätskontrast in Ordnung, für filigrane Fair-Isle-Muster wäre sie jedoch nicht geeignet
...kann ich zum Beispiel den gesprenkelten, rotvioletten Strang durch einen Semisolid in der gleichen Farbe ersetzen, und der Kontrast wird schon deutlich besser....
...oder ich ersetze auch den hellgrünen Strang durch einen noch helleren, gesprenkelten Strang. So bleibe ich in den gewünschten Farben, habe aber im Strickstück einen optimalen Kontrast.
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